Fotos: Markus Schwer
Wer hat sie nicht schon einmal irgendwo gesehen? Ihr Erscheinungsbild zieht einfach alle Blicke auf sich. Stets identisch in grellen, damenhaften Kostümen gekleidet, stark geschminkt und mit kahlrasierten Köpfen kommen sie bei ihren Besuchen auf den Kunstmessen und Events in aller Welt meist nur wenige Meter voran. Unentwegt bittet sie jemand um ein Foto. Seit nahezu 30 Jahren gibt es ein „Nein“ so gut wie niemals zu hören. EVA & ADELE stellen sich in Pose und lächeln. Und das immerzu. Das Lächeln ist eine wesentliche Komponente ihrer Performance FUTURING, die jede Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem auflöst. Dass diese Performance aber auch von einem beeindruckenden Konvolut an Gemälden, Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen, Filmen und Kostümen begleitet wird und in namhaften Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt vertreten ist, ist hingegen vielen nicht bekannt. Die Ausstellung L’AMOUR DU RISQUE im me Collectors Room Berlin setzt sich retrospektiv mit ihrem Gesamtwerk auseinander. Eine Gelegenheit, mich vor Ort mit den beiden zu treffen …
Die Ausstellung beginnt mit der ständig laufenden Video-Arbeit ‘Kisses in the Supermarket’ von 1997, die auf die Straße gerichtet ist und regelmäßig Gruppen von Neugierigen zum Verweilen herausfordert. Im Foyer geht es sofort weiter, wo die Arbeit ‘Polaroid Diary’ mit 1.500 Selfies in gleichmäßiger Rasterung eine Art Bilderfries bilden.
Der dort gegenüberliegende Souvenir-Shop lässt sich ebenfalls als Kunstwerk lesen. Eigens für die Ausstellung wurden von EVA & ADELE Accessoires kreiert, die nun liebevoll arrangiert die Auslage schmücken. Die Komposition aus vollständig in Rosa gestalteten Artikeln hat etwas spielerisch Mädchenhaftes. Zum Leben erweckt wird die Ausstellung dann durch das Künstlerduo selbst, das mir nun freundlich lächelnd in rosa geblümten Kleidern entgegenschreitet.
Bild 1: Polaroid Diary, 1991–2005, Bild 2: Souvenir-Shop
Das Paar, das seit 2011 gleichgeschlechtlich verpartnert ist, hatte sich 1989 als Zeichen ihrer Liebe dazu entschieden, die eigene Identität zukünftig zu verbergen und das jeweilige zuvor entstandene künstlerische Werk aufzugeben. Als einen Neuentwurf von Geschlecht kreierten sie die „radikale Gemeinschaftsexistenz“. Seither machen sie nichts mehr allein und sind immer identisch gekleidet. Die Anfänge waren hart, wie Eva mir nun bei der Betrachtung der Selbstporträts verrät. „Das sind Reproduktionen unserer Polaroids, die in der Zeit zwischen 1991 und 2005 entstanden sind – also weit vor den heutigen Handy-Selfies. Wir nutzten dieses Medium zur Selbstvergewisserung bevor wir das Haus verließen. So konnten wir das Mobbing ertragen, das uns dann auf der Straße erwartete.“
„In dieser Zeit – wir sprechen von den beginnenden 1990er Jahren – war der Neuentwurf von Geschlecht bei vielen Menschen noch mit der klassischen christlichen Leidensgeschichte belegt. Man erwartete das Drama, aber keine fröhlich bunte Performance“, erläutert Adele das damalige Verhalten. „Unseren Widersachern gegenüber wurde das Lächeln zu unserer Waffe, innerhalb unserer Kunst entwickelte es sich zum Teil unseres Markenzeichens.“ Demnach also alles andere als eine oberflächliche Maskerade, wie man irrtümlicherweise vielleicht vermuten könnte.
Wir gehen gemeinsam in den Ausstellungsraum.
Teilansicht des Ausstellungsraumes
Die hohen weißen Wände und das dunkle Holz des Bodens bilden den perfekten Rahmen für das hier präsentierte Werk. Großformatige Gemälde, eine rosafarbene Skulptur, bestehend aus Tisch und darauf aufgetürmten Köfferchen, sowie einer weiteren rosafarbenen Skulptur, bestehend aus einem Bett und einer Miederinstallation an den Wänden, setzen sich kontrastreich in Szene. Die Werkgruppe Transformer-Performer vermittelt eindrucksvoll die Leitidee von EVA & ADELE. „Die Gemälde sind aus Zeichnungen von Eva entstanden, die in Kisten im Keller aufbewahrt waren. Da wir uns entschieden hatten unser jeweils eigenes Werk aufzugeben, waren die Arbeiten unserer Vergangenheit erst einmal einfach nur verstaut. So auch diese Zeichnungen. Irgendwann hatte ich dann die Idee, einzelne dieser Arbeiten collagenhaft zusammenzufügen und mit neuen Ölmalereien zu überlagern. Sukzessive haben wir dann, mit langen Unterbrechungen dazwischen, daran gearbeitet“, erklärt Adele. So unterschiedlich alle Gemälde auch sind, gibt es ein Element, das diese Werkgruppe miteinander verbindet. Es ist das immer gleiche Doppelporträt der Künstlerinnen, das sich mal mehr, mal weniger dominant zu erkennen gibt. Ich frage nach der Bedeutung. „Das Doppelporträt ist als Versiegelung dafür zu sehen, dass unser performatives Werk über der traditionellen Zeichnung steht. Insbesondere in der Malerei ist die Autorenschaft – die Erkennbarkeit einer eigenen Handschrift – von Bedeutung. Wir haben zugunsten der Gemeinschaftsexistenz die individuelle Autorschaft aufgegeben. Deshalb betrachten wir diese Arbeiten als einen Neuentwurf innerhalb der Malerei“, erläutert Eva.
Bild 1: Biographische Skulptur No 1, 1997, Bild 2: Eva und Adele vor Biographische Skulptur No 26, 2018, Bild 3: Transformer-Performer, STANLEY, 2006, Transformer-Performer HELIKON, 2010
Mit einer genaueren Betrachtung der Koffer-Skulptur wenden wir uns nun der Werkgruppe der sogenannten Biographischen Skulpturen zu. Schon allein der Begriff lässt innehalten. Die Biographie der beiden Künstlerinnen ist bekannterweise unvollständig. Aber genau darum geht es. Weil es sich bei allen diesen Skulpturen um Objekte des persönlichen Gebrauchs handelt, werden hiermit Hinweise auf Ereignisse ihrer nicht dokumentierten Vergangenheit zugelassen. Wie beispielsweise die Verwendung der Koffer, wie mir nun Eva erzählt: „Lange Zeit haben wir uns nicht zu unserer Kunst geäußert. Wir hatten Sorge, unsere Idee zu schnell zu verschleudern. Im Rückblick eine gute Entscheidung, weil wir deshalb so viele Jahre Zeit hatten, unser Werk zu bilden. Irgendwann war es aber für uns an der Zeit, das Schweigen zu brechen. Wir packten unsere Arbeiten in diese Koffer und machten uns auf den Weg zu Kuratoren.“
„Und das hat funktioniert? Üblicherweise ist es nicht der ideale Weg, wenn Künstler sich selbst versuchen zu vermarkten“, frage ich verwundert nach. „Bei uns hat es funktioniert. Wir hatten das Glück auf mutige Persönlichkeiten wie beispielsweise Ulrich Krempel, den damaligen Direktor des Sprengel Museums in Hannover, oder auch den legendären Kurator Harald Szeemann zu treffen, die uns sofort unterstützten“, antwortet Adele.
Bild 1: Biographische Skulptur No 13, 2005, Bild 2: Biographische Skulptur No 22, 2018
Doch nicht nur zu Persönlichkeiten der Kunstszene suchten sie fortan Kontakt. Es folgte eine gewaltige Postkarten-Aktion. Vor jedem Ausstellungsbesuch wurden Selbstporträts als Postkarte reproduziert und auf der Rückseite mit hierfür kreierten Logos gestempelt. Jedem, der ein Foto von den beiden schießen durfte, wurde eine solche Postkarte mit der Bitte ausgehändigt, einen Abzug des entstandenen Fotos zuzusenden. Die Karte war somit gleichzeitig Visitenkarte wie künstlerisches Unikat. Insgesamt wurden 40.000 Exemplare ausgegeben, die letztlich eine eigene, auf Interaktion ausgerichtete Werkgruppe bildeten. Vergegenwärtigt wird diese Aktion durch die 12-teilige Arbeit Goldenes Manifest. Auf blattvergoldeten Holzplatten sind hier jene Stempel-Logos mit den zentralen Botschaften ihrer Lebens-Performance FUTURING mit roter Ölfarbe aufgemalt. Zu nennen sind beispielsweise: WHERE EVER WE ARE IS MUSEUM, COMING OUT OF THE FUTURE oder WORLD COMMUNICATIVE GLOBAL PLASTIC.
„Es war uns wichtig, unsere Botschaft erhöht zu manifestieren. Der Goldgrund auf Holz, der vor allem innerhalb der Kirchenkunst im Mittelalter seine Anwendung fand, war deshalb der perfekte Malgrund für uns. Sowohl als Symbol für die Bedeutung unserer Botschaft, als auch als Symbol für unseren immerwährenden Bezug zur Kunstgeschichte.“
Goldenes Manifest, 1992–1997
„Das findet sich auch in unserer Werkgruppe Mediaplastic“, leitet Adele die Hintergründe zu den nächsten Arbeiten ein. Wie bei der Postkarten-Aktion geht es hierbei im Grundsatz zunächst um die Verbreitung ihres Bildes. Allerdings sind es hier ihre Pressefotos, die zum Auslöser weiterer Werkstufen wurden und Gemälde und Zeichnungen vielfältigster Art entstehen ließen. Wieder sind es die Großformate, die in diesem Ausstellungsraum den ersten Blick auf sich ziehen. Die jeweiligen Bildschöpfungen, in der Bandbreite vom scheinbar eins zu eins übertragenen Fotoprints bis hin zu stark abstrahierten Varianten, machen auch die malerischen Fähigkeiten des Duos deutlich. „Könnten Sie sich vorstellen, auch digital zu arbeiten“, interessiert mich nun.
Schon fast energisch winken beide ab. „Nein. Das hat aber einfach damit zu tun, dass wir den Rückzug ins Atelier und die Einsamkeit dort brauchen, um das Erlebte in Ruhe reflektieren und verarbeiten zu können. Die Malerei erfordert ein hohes Maß an Konzentration und ist deshalb für uns das ideale Medium, um das Aus-dem-Inneren-herauskommende-Kunstwerk als Kern unserer Arbeit zu professionalisieren“, lautet die Antwort, die die Kunst von EVA & ADELE als Spiegel ihres eigenen Lebens zu erkennen gibt.
Installationsansichten, Bild o.r.: Bild 2: MEDIAPLASTIC No 7 IL GIORNALE DELL’ARTE, 1991 / MEDIAPLASTIC No 6 Gallery, 1994
Entsprechend gehören auch ihre selbst entworfenen Kostüme dazu, die ihre legendären Performances auf bedeutenden Kunstevents wie der documenta IX oder der Biennale von Venedig in Erinnerung rufen.
WINGS III, 1997
Die in einem weiteren Bereich der Ausstellung präsentierten Echtzeitvideos, in denen das Paar 43 Minuten lang – ohne Schnitt (!) – Handlungen wie Winken oder Wasserplantschen monoton, fast roboterartig ausführt, dokumentieren wiederum die enorme Disziplin, die das von ihnen gewählte Lebensmodell immerzu erfordert hat und auch in Zukunft erfordern wird. „Dass wir in den vergangenen fast dreißig Jahren mit unserer Kunst sichtbar dazu beitragen konnten, eine Toleranz gegenüber neuen Rollendefinitionen von Geschlecht durchzusetzen, macht uns die Einhaltung von Disziplin leicht“, lautet Adeles Kommentar hierzu, den Eva mit einem glücklichen Strahlen bestätigt.
Filmstills, links: Watermusic I, 1997/2003, rechts: Watermusic II, 1997/2003
Und genau das ist es, was ihre Kunst so authentisch macht, und ich heute in personifizierter Gestalt wie auch in so vielen unterschiedlichen Medien der Kunst kennenlernen durfte: Das gelebte Aus-dem-Inneren-herauskommende-Gesamtkunstwerk, das aus der Zukunft in die Gegenwart gefunden hat.
Weitere Informationen
… über das Künstlerduo: http://www.evaadele.com
… über die Ausstellung im me collectors room: https://www.me-berlin.com/eva-adele/