Fotos: Markus Schwer
Potsdam. Mein heutiger Atelierbesuch führt mich zu Marion Fink, einer Künstlerin, die mit ihren jüngsten Ausstellungen nicht nur die Aufmerksamkeit der derzeitigen Top-Galerien Deutschlands, sondern auch die internationaler Galerien auf sich ziehen konnte. Ihre außergewöhnliche Malerei wird noch in diesem Jahr in London und New York zu sehen sein. Was genau das Besondere dieser Malerei ausmacht, möchte ich herausfinden.
Ihr Arbeitsraum befindet sich in einem zum Atelierhaus umfunktionierten Kindergarten in einer ruhigen Seitenstraße mitten im Grünen von Potsdam. Nüchtern das Treppenhaus, ebenso nüchtern das Gemeinschaftsbüro vor ihrem Atelierraum, aber dann … Bähm!
Mit Betreten des Raumes ist es um mich geschehen. Die Großformate an den Wänden und auf dem Boden oder besser gesagt, die beinahe lebensgroßen Figuren der Bildmotive sind geradezu magisch. Mit Blick auf Marion Fink fällt sofort eine Ähnlichkeit zwischen ihr und den Figuren der Gemälde auf. Absolut entgegengesetzt ist jedoch ihre Stimmung. Während die Figuren eher etwas Introvertiertes, Gleichgültiges, teils auch resignativ Verlorenes ausstrahlen, ist es die pure Lebensfreude, von der die Künstlerin umweht wird. Mit der von einem breiten Lächeln begleiteten Frage: „Vielleicht erst einmal einen Kaffee und etwas Süßes“, verführt sie mich zur ersten Kaloriensünde des Tages und plaudert gutgelaunt los.
Bild links: The big dream dreams he is a small dream, a small dream, dreaming a big dream.
Marion: Es läuft wirklich gut im Moment. Ich hatte das große Glück, bei meinen Ausstellungen in Hamburg und Basel so gut zu verkaufen, dass ich schon fast ein bisschen in Sorge bin, genügend Bilder für die anstehenden Ausstellungen in Frankfurt und Berlin zusammenzubekommen [erzählt sie quirlig, von einer gespielten Theatralik begleitet].
Das hört man eher selten. Also kein quälender innerer Druck?
Marion: Glücklicherweise nein. Die Angst vor fehlender Inspiration, die Sorge, dass man das Beste doch eigentlich schon gegeben hat, verfolgt mich zum Glück nicht mehr. Die Ideen fließen einfach durch mich hindurch, ich bin voll in meiner Mitte! Das war auch mal anders. Die Entscheidung von Berlin nach Potsdam zu ziehen, hat sich für mich als absolut richtig erwiesen. Nicht nur, dass mir die Umgebung hier wahnsinnig gut tut – ich radle jeden Morgen durch den Park Sanssouci hierher, herrlich –, es war auch die unglaubliche Chance, die mir vor zwei Jahren mit der Einzelausstellung im Kunstraum Potsdam c/o Waschhaus gegeben wurde, die eine Wende für mich markiert hat.
Du hattest nur drei Monate Zeit, dort einen Ausstellungs-Slot zu füllen und musstest 300 Quadratmeter bespielen. Eine gigantische Herausforderung …
Marion: Ja, in der Tat. Zu der Zeit quälten mich Selbstzweifel und Existenzängste, wie so viele nach dem Kunststudium. Das Vertrauen, welches mir mit dieser Zusage gegeben wurde, hat eine unglaubliche Energie in mir freigesetzt und mir geholfen, auch an mich selbst zu glauben.
Wie passt das zu den Szenerien, die du darstellst? Sie umwehen eher etwas Melancholisches und Momente eines innehaltenden Stillstands. Welche Themen führen dich in einer so euphorisierten Stimmung zu solcherart Bildmotiven?
Marion: Unabhängig von meiner Stimmung beschäftigen mich tagtäglich Fragen, die ich an unsere Realität und das Leben an sich stelle. Was ist Realität? Wie konstruieren wir diese? Welche Rolle spielt unser Bewusstsein und warum fliege ich eigentlich auf einem riesigen Felsen durchs Weltall? Unsere Sinne verführen uns unentwegt, die Realität anders wahrzunehmen, als sie tatsächlich ist. Diesen Mix aus physikalischen und philosophischen Betrachtungsweisen finde ich unglaublich spannend. Aber anstatt Abhandlungen über meine Überlegungen zu verfassen, kreiere ich Bilder. Dadurch kann ich den logischen, voreingenommenen Verstand umgehen und direkt auf Gefühlsebene kommunizieren.
Sind es Selbstbildnisse?
Marion: Auch wenn die Frauenfiguren manchmal Ähnlichkeit mit mir haben und sich darin immer wieder mal einzelne Körperteile von mir abgebildet finden – wie hier beispielsweise meine Füße oder dort meine Hand –, sind sie nur Stellvertreter für Menschen meiner Generation, also keine Selbstbildnisse.
Bildtitel v.l.n.r.: She held her worlds firmly in place, prepared to decipher creation; The Wave; Yet untitled.
Ich betrachte die Bilder erneut. Die Attribute in Kombination zu den Figuren fallen mir nun auf: Felsen, die in einer Art Planetensystem ein Gerüst formen, das eine fahl dreinblickende junge Frau gleichzeitig einzuzwängen wie auch zu schützen scheint; eine überdimensionierte, weit geöffnete Schraubzwinge, die als Flugobjekt eine weitere, hier herausfordernd und selbstbewusst den Betrachter anschauende Frau durch die Schwerelosigkeit trägt; ein schlangenähnliches Gebilde, das sich wellenförmig vom Erdball löst und einer sich daran festklammernden Frau einen Hauch von Halt gibt. Der gespiegelte Schriftzug „future“, der auf den Ärmel ihres Kleides gedruckt ist, unterstreicht die Labilität dieser Szene.
Darüber hinaus werden mir das Collagenhafte und gleichzeitig die ungewöhnliche Farbstruktur der einzelnen Fragmente innerhalb der Bildkompositionen bewusst, die insgesamt den Eindruck einer digital produzierten Druckgraphik erwirken. „Es handelt sich doch aber um Ölfarbe auf Papier und nicht um einen Druck“, frage ich irritiert nach.
Marion: Ja. Es sind sogenannte Monotypien. Eigentlich eine Technik, die für kleine Skizzenformate im 17. Jahrhundert entwickelt wurde. Hierbei entsteht zwar der Eindruck einer Druckgraphik, diese ist allerdings nicht replizierbar und damit ein Original. Seit 2016 arbeite ich daran, das Verfahren für mich weiterzuentwickeln.
Und das funktioniert auf welche Art und Weise?
Marion: Zuerst einmal zeichne ich das Motiv spiegelverkehrt auf ein Skizzenpapier. Auf der Vorzeichnung platziere ich dann eine Plexiglasfolie, auf welcher ich die Ölfarbe auftrage, um das Gemalte anschließend im feuchten Zustand und mit Körperkraft auf den finalen Bildträger zu pressen. Es handelt sich bei meinen großformatigen Monotypien allerdings nicht um einen einzigen Druck. In vielen Schritten des Malens und Druckens puzzle ich das Bildmotiv auf dem Papier fast collagenhaft zusammen. Das Besondere daran sind für mich die unvorhersehbaren, durchschimmernden Strukturen in den Farben, die im Prozess entstehen.
Deine Bildtitel sowie die in deinen Arbeiten integrierten typografischen Elemente scheinen sehr bewusst gewählt. Sind sie als Erklärung der Bilder gedacht?
Marion: Nein. Mit den Titeln versuche ich meine Gedanken auf poetische Weise zum Ausdruck zu bringen und füge den Bildern dadurch eine weitere Ebene hinzu. Neben der Kunst liegt mir auch die Literatur sehr am Herzen. Ich habe immer gern gelesen und Texte geschrieben. Ursprünglich wollte ich Journalistin werden.
Wann hast du denn die Kunst für dich als Profession entdeckt?
Marion: Das war ein verwobener Weg. Ich komme aus einer Kleinstadt im Allgäu. Kunst, insbesondere die Zeitgenössische, war dort eigentlich nicht existent. Ich habe zwar vor allem in der Pubertät wie eine Wilde gezeichnet, um meinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen, aber das war für mich eher wie Tagebuch schreiben. Auf den Gedanken künstlerisch veranlagt zu sein, hat mich – man glaubt es kaum – zu allererst ein Berufseignungstest gebracht. Das Ergebnis lautete: Künstlerin, Journalistin oder DJ [lacht]. Mein Vater, der für den Test bezahlt hatte, war über das Ergebnis verständlicherweise nicht so amüsiert.
Weil mir das kreative Schreiben wirklich Spaß machte, habe ich mich zunächst am Kommunikationswissenschaftsstudium an der Freien Universität Berlin versucht und nebenher bei Zeitungen gearbeitet. Die trockene Theorie im Studium und der News-Journalismus erfüllten mich aber überhaupt nicht. Berlin und verschiedenen Begegnungen haben mir während dieser Zeit die Augen für die zeitgenössische Kunst geöffnet. Damals schlich sich auch der Gedanke bei mir ein, dass das Kunstschaffen der einzig wahre Weg für mich ist. Ich bin dem Impuls gefolgt und habe schließlich an der Gerlesborg School of Fine Art in Stockholm und anschließend in Hamburg an der Hochschule für Bildende Künste studiert, wo ich 2016 abgeschlossen habe. Insgesamt war diese Zeit von einem Wechselbad an Gefühlen begleitet. Vor allem der Umzug aus der heilen Welt Stockholms nach Hamburg, wo ich mit zwei sehr wilden Frauen in einer Wohngemeinschaft ausgerechnet an der Reeperbahn gelebt habe, war wirklich krass!
Also doch Selbstbildnisse, frage ich mich rückblickend. Es sind ihre Erfahrungen und die Auseinandersetzung mit sich selbst, die sich in den Figuren ihrer Bilder spiegeln. Oder ist es mehr? Symbolisieren die Figuren und die sie umgebenden Attribute nicht vielleicht auch typische, identitätsbildende Fragestellungen der Menschen ihrer Generation? Einer Generation, die sich permanent einer globalisierten, sich rasend schnell verändernden Welt gegenüber gestellt sieht oder – um mit den Worten von Marion Fink zu sprechen – die das Verhältnis zur eigenen Welt immer wieder hinterfragt und neue Realitäten konstruiert.
Alles in allem vielleicht ein philosophischer Blick hinter die Schöne-Welt-Kulisse einer nur scheinbar sorgenfreien Generation?